• "Olea europaea L., Olivenbaum (Oleac.). — Oelbaumlaub wirkt adstringirend und kühlend, die völlig reife Frucht indifferent, wärmend, die unreife aber mehr adstringirend und kühlend.
    Oel ist der eigentliche Namen des aus den Oliven gewonnenen Produkts. Ueber die Grundeingenschaften, nämlich die indifferente, (der Körperbeschaffenheit entsprechende) feucht und warmmachende Wirkung, haben wir uns bereits in den vorigen Büchern eingehend ausgebreitet. Man nennt dieses Oel oleum dulce. Oleum crudum — Oel der unreifen Olive — hat adstringirende und kühlende Wirkung. Oleum vetus, aus alt gewordenem 0l. dulce entstanden, ist von wärmerer und vertheilender Wirkung, das aus 01. crudum entstandene, insofern es die adstringirende W'irkung beibehält, von gemischter, sobald es aber jene verliert, von derselben Wirkung wie das aus 01. dulce entstandene 01. vetus. Wirft man bei der Bereitung des Oels in dieses Oellaub, so entsteht 01. crudum. Im Uebrigen entscheidet der Geschmack, ob es sich um adstringirendes, kühlendes 01. crudum, wie man es aus Iberien importirt und welches Hispanisches Oel genannt wird, handelt, oder um 01. dulce, welches indifferent wärmt. Ferner muss man darauf achten, ob es rein und durchscheinend aussieht, ob es, auf die Haut gerieben, haften bleibt oder von derselben schnell aufgesogen wird. Das beste und obig genannten Eigenschaften am vollkommensten besitzende Oel ist das 01. Sabinum. Ich will hier noch Oel von andern Pflanzen anführen: Es giebt ein 01. cicinum aus fruct. Ricini, welches meist in Aegypten vorkommt; ferner 01. raphaninum, sesaminum, amygdalinum, caryinum, ferner sinapinum, lentiscinum, laurinum, melanthinum, terbinthinum, mastichinum, myrtinum, balaninum, hyoscyaminum und noch viele andere, die aus den Früchten ausgepresst werden und die sich in gleichem Masse wie die Früchte, aus denen sie gewonnen werden, von einander unterscheiden. 01. cicinum hat stärker verdünnende und vertheilende Wirkung, als das ihm übrigens sehr ähnliche 01. dulce. Deshalb wird man, wenn bei der Mischung eines Medikaments 01. cicinum vorgeschrieben, solches aber nicht voräthig ist, 01. dulce, besonders sabinum benutzen. 01. raphan. ist sonst diesem ähnlich, jedoch wärmer. Wärmer als dieses ist noch 01. sinap., ihm ähnlich 01. melanth. Im Gegensatz zu diesen stehen 01. mvrth. und sesamin., weil sie adstringiren und verdicken. Gemischte Wirkung haben 01. lentisc., terebinth. und mastichin., welche nicht nur erweichen, sondern auch adstringiren. 01. amygd. hat überwiegend bittere, daneben auch eine gewisse adstringirende Eigenschaft 01. caryin. dagegen hat einfach verteilende Wirkung. Wärmer und stärker vertheilend wirkt 01. laur., stärker als dieses 01. cedrin. Ihm nahe steht das aus schwarzem Pech bereitete 01. dadinum, weniger wärmend, aber stärker trocknend als 01. laurin. 01. hyoscyam. hat aber gemischte Wirkung, erweichende und kalt machende. 01. Ricini wirkt abführend, noch stärker abführende Wirkung hat Oel aus Granum Cnidium, weil letzteres stärker purgirende Wirkung besitzt, als Ricinus. Oel, welches von dem wild wachsendem Oelbaum gewonnen wird, wirkt nicht indifferent, sondern reinigend und zugleich adstringirend. Es ist das unreinste aller Oele, ihm folgt in dieser Eigenschaft das Istrische und diesem des Hispanische. Am fettesten ist das Lybische und Cilicische, fett und zugleich fein vertheilt (soll wohl fein emulgirbar bedeuten) das Satanische. In der Mitte zwischen diesen steht das auf den Cyciaden, dann auch in Hellas und Asien gewonnene Oel. Die Fettigkeit wird nach Schlüpfrigkeit, die feine Vertheiluug (dünne) nach der Transparenz, nach der Reinheit, nach der Resorbirbarkeit durch die Haut und nach der Eigenschaft, in möglichst kleiner Portion über eine möglichst grosse Fläche verrieben werden zu können, beurtheilt. Aus dem Angeführten lässt sich ein Schluss ziehen auf andere Oel- Arten, welche die gleiche Bezeichnung wie die betr. Salben tragen, wie Rosenöl, Lilienöl, Aepfelöl und alle derartigen aus Blumen, Früchten, Sprossen und Blättern durch Maceration in Oel gewonnenen Oele; diese nennt man schon, insofern sie das Aroma enthalten, Salben. Auf diese wird ausführlicher in dem Werke „über die Zusammensetzung der Medikamente“ eingegangen werden.
    Ich glaubte diese Angaben Galen’s über das Oel vollständig wiedergeben zu sollen, weil sie so recht zeigen, in welche subtilen, rein theoretisch construirten Differenzen in den Wirkungsweisen der einzelnen medikamentösen Stoffe Galen sich zu verlieren pflegt. Es muss sich eben Alles in das bis in die feinsten Details ausgearbeitete und complicirte System des überzeugten Dogmatikers hineinschachteln lassen."

    (Ludwig Israelson: Die "materia medica" des Klaudios Galenos, 1894)
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