"In dem südlichen Europa, so wie auch in den milderen
Gegenden Deutschlands wird der Mandelbaum, Amygdalus
communis L., häufig gezogen, und allbekannt ist seine
schmackhafte Frucht.
Schon bei der im höchsten Alterthum üblichen Naturverehrung
sehen wir den Mandelbaum auf verschiedene
Art allegorisch angeführt, aber nicht leicht ist es, überall
den Sinn herauszufinden, und die Mythen der Vorzeit
durch die Natur der in ihnen genannten Pflanzen zu
enthüllen.
Der Ursprung des Mandelbaums wird auf verschiedene
Weise erzählt. Nach Arnobius verlor Jo, die Tochter
des Königs Midas, ihren Verlobten Atys ; sie hüllte
die Brust des Verblichenen mit weicher Wolle ein und
beweinte ihn mit dem Acestes, der, die Schuld seines
Todes tragend, sich entleibte. Aus dem Blute entsprangen
die Veilchen; aus seinem Körper, den die Mutter der
Götter begrub , entsprosste der bittre Mandelbaum, in
seiner Frucht den Stoff der Bitterkeit tragend; er ist also
hier ein Symbol des Schmerzens.
Nach einer andern Mythe entsprosst der Mandelbaum
aus den Hoden des entmannten Agdistes, von welchem
im vorigen Paragraphen die Rede war; hier deutet er
bildlich durch die Entmannung auf die den Winter hindurch
gehemmte Vegetation, und der blühende Mandelbaum
ist ein Symbol der im Frühjahre sich verjüngenden
Naturkraft. Unter allen
Obstbäumen entwickelt die Mandel zuerst im Frühling ihre
Blumen, und das hebräische Wort dieser Frucht heisst
mit denselben Buchstaben frühzeitig sich ausbilden, und
die Mandel ist daher selbst in der heiligen Schrift ein Sinnbild
der frühzeitigen Entwickelung.
Demophoon, Sohn des Theseus und der Phaedra, liebte
die schöne Phyllis, der er versprach, sie als Braut zu
einer bestimmten Zeit abzuholen. Als er nicht Wort hielt,
erhing sich die Getäuschte an einen Mandelbaum. Ihrem
Grabe entsprossten Bäume, die jährlich ihren Tod beklagten
: Mandelbäume ohne Blätter. Endlich kam Demophoon
zurück, betrauerte seine treue Geliebte, umarmte
auf ihrem Grabe den Baum, dem nun Blätter entsprossten."
(J.H.Dierbach: Flora Mythologica, 1833)